Der vor einigen Wochen am Rande einer Bergisch Gladbacher Straße entdeckte Stein ist ein Markierungsstein, mit denen ab 1934 die Zuständigkeitsbereiche für die Straßenbaulast zwischen Reich und Kommunen abgegrenzt wurden. Der Stein lag an einem Steilhang auf Höhe der Overather Straße 32 und war mit Unrat bedeckt. Er ist beidseitig betextet und konnte an der linken o. rechten Straßenseite eingesetzt werden; auf der einen Seite steht in eingetieften lateinischen Großbuchstaben REICH, auf der anderen GEM (für Gemeinde); dieser Abschnitt des Steins ist bis auf die Buchstaben weiß eingefärbt. Der gesamte Stein ist 85 cm hoch, 32 cm breit und 15 cm tief und besteht aus grob behauenem Natursteinmaterial (Basaltlava?).

In Absprache mit der Stadt Bergisch Gladbach wurde der ca. 120 kg schwere, offensichtlich bei Straßenbauarbeiten ausgegrabene und lose abgelegte Markierungsstein in die Kadettenstraße transportiert und dort auf dem Freigelände des BGV (geplanter Lesegarten) eingelagert. Wenn niemand Anspruch auf Ihn erhebt, soll er als Geschichtszeugnis in die Gestaltung des Lesegartens einbezogen werden, für den auch andere historische Objekte („Spolien“) vorgesehen sind.

Vom ARCHIV FÜR AUTOBAHN- UND STRASSENGESCHICHTE / Wissenschaftliche Redaktion Köln erhielten wir dazu folgende Auskunft:

Grenzsteine REICH/GEM

Das Gesetz über die einstweilige Neuregelung des Straßenwesens und der Straßenverwaltung,das am 1. April 1934 in Kraft trat, veränderte die bis dahin in Preußen bzw. den übrigen deutschen Ländern gewohnten Regeln für Straßenbau und Straßenunterhalt grundlegend. Zum ersten Mal in der langen Geschichte des deutschen Straßenwesens übernahm damit ein Organ des Reiches die Aufsicht über alle Landstraßen von überregionaler Bedeutung. Bei dieser Gelegenheit ging auch die Zuständigkeit für die preußische Wegebaupolizei auf das Reich über (§ 9 des Gesetzes). Das Neuregelungs-Gesetz beendete somit die bis dahin gültige, historisch gewachsene, an Eigentum und Kostenträgerschaft orientierte Verfügungsgewalt der Länder, Gebietskörperschaften und Kommunen über die Straßen in ihrem Einflussbereich. Als Maßstab für die Einteilung der Landstraßen dienten aktuelle Verkehrszählungen und die daraus abgeleiteten zukünftigen Verkehrsentwicklungen.

Das Neuregelungs-Gesetz verlieh dem am 30. Juni 1933 von Hitler zum ‚Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen’ ernannten Leiter der neuen Reichsbehörde für das Straßenwesen (GI, Fritz Todt) eine besondere Gestaltungsmacht. Er war für die Autobahnen und Reichsstraßen unmittelbar zuständig und verantwortlich; bei allen übrigen Straßen übte er die Fachaufsicht über die Träger der Straßenbaulast aus. Für Bau und Unterhalt der Reichsstraßen bediente sich der GI der bestehenden obersten Straßenbaubehörden in den preußischen Provinzen bzw. den übrigen deutschen Ländern. Die Straßenstrecken, aus denen sich die Reichsstraßen zusammensetzten, gingen aber nicht auf das Reich über, sondern verblieben bei den bisherigen Eigentümern.

Auf der anderen Seite übernahm der GI als Verantwortlicher für die Straßenbaulast bei denReichsstraßen ab Inkrafttreten des Gesetzes wie ein Eigentümer alle Rechte und Pflichten. Länder, Kreise und ggf. Kommunen waren ab diesem Zeitpunkt von allen Bauaufgaben bei den zu Reichsstraßen erklärten Straßenstrecken entbunden, weil die bisherigen landesrechtlichen Bestimmungen außer Kraft gesetzt wurden (§ 12 des Gesetzes). Hingegen oblag die Baulast, Verwaltung und Unterhaltung der Landstraßen I. und II. Ordnung weiterhin den Ländern und preußischen Provinzen; trotzdem konnte der GI kraft seines Amtes auch hier jederzeit in alle Belange des Straßenwesens eingreifen, um überregionale Straßenverbindungen nach einheitlichen technischen Gestaltungskriterien aufzubauen.

Nach zwei Runderlassen des GI von 1935 mussten Beginn und Ende der Ortsdurchfahrten durch genau vorgeschriebene Grenzsteine aus Naturstein oder Beton markiert werden. Sie waren so auf der rechten Straßenseite aufzustellen, dass die Schmalseite mit einer mittig angebrachten, 22 cm langen Keilnut auf die Fahrbahn wies. Auf der einen Breitseite in Richtung Ortschaft stand das Kürzel „GEM“ für Gemeinde, auf der anderen Breitseite war „REICH“ zu lesen. Die beiden folgenden Zeichnungen dienten als Vorlagen für die Beschaffung des oben gezeigten Markierungssteins.

Runderlass Nr. 82/35 vom 9. September 1935; siehe : Die Strasse 2 (1935), Heft 20, S. 727 (Amtlicher Teil).

Runderlass Nr. 82/35 vom 9. September 1935; siehe : Die Strasse 2 (1935), Heft 20, S. 727 (Amtlicher Teil).

Bei der Umsetzung der neuen Vorschrift in die Praxis tauchten allerdings verschiedene Fragen auf, die mit ergänzenden Runderlassen beantwortet wurden. Zunächst wies Runderlass Nr. 98/35 darauf hin, dass für die Grenzsteine ausschließlich „Naturstein“ zu verwenden ist und die Höhe des sichtbaren Kopfes 25 cm betragen muss. Ferner wurde angeordnet, dass hinter der Abkürzung „GEM“ ein Punkt folgen soll, „um deutlich zum Ausdruck zu bringen, dass GEM. die Abkürzung von Gemeinde bedeuten soll“. Offenbar hatten behördliche Sprach-Puristen dies angemahnt.

Auf den beidem Fotografien ist leider nicht zu erkennen, ob der aufgefundene Stein in Bensberg den Punkt enthält. Träfe dies zu, so wäre klar, dass der Stein frühestens im Dezember 1935, eher später aufgestellt wurde.

Dr. Dr. Reiner Ruppmann

Text: Rainer Brandenburg / Fotos: Heribert Cramer