Die Hyperinflation 1923 im Rheinland und ihre Vorgeschichte im Spiegel des Not- und Inflationsgelds
(zerbasch (rheinisch) = im Überfluss, wörtlich: zum Bersten voll)
Einleitung: Vom Gold zum Geld
Wie die Sprache ist Geld ein universelles und trotzdem unendlich vielfältiges Mittel des Austauschs zwischen Menschen – des Austauschs von materiellen Werten. Schon vor Jahrtausenden entdeckte man, dass Tauschgeschäfte durch Zwischenträger erleichtert werden können. In vielen Kulturen waren dabei Material- und Tauschwert der Träger gleichgesetzt, so dass durch Wiegen der Wert ermittelt werden konnte. Die Waage war deshalb Begleiter und Arbeitsgerät der Händler und Geldwechsler. Die Ausgabe von Geld war herrschaftliches Vorrecht und wurde zur Selbstdarstellung genutzt. Standen aus unterschiedlichen Gründen nicht ausreichend offizielle Tauschmittel zur Verfügung, griff man zur Ausgabe von Notgeld.
Thema dieser Ausstellung ist die während des Ersten Weltkrieg in Deutschland begonnene Ausgabe von Not-Kleingeld und später auch von offiziellem Papiergeld mit immer höheren Werten. Das Not-Kleingeld stand am Beginn einer inflationären Geldentwertung, die nach dem Krieg im Laufe der Jahre 1922 und 1923 zur deutschen Hyperinflation führte. Weil in deren Verlauf die Reichsbank nicht mehr mit der Produktion immer höherer Notenwerte nachkam, gaben auch Kommunen, Institutionen und Behörden Notgeld in Form von Gutscheinen aus, bis Mitte November 1923 durch die Einführung der Rentenmark ein Neuanfang gelang.
Deutsches Kaiserreich
Erst mit der Reichsgründung von 1871 konnte in Deutschland schrittweise eine einheitliche Währung eingeführt werden. Bis dahin waren Münzrecht, regionale und lokale Währungshoheit über Jahrhunderte sorgfältig gewahrtes und bewahrtes Vorrecht von Landesherren und Reichsstädten. Das Verhältnis der unterschiedlichen Münzsorten zueinander war kompliziert, seine Kenntnis eine Wissenschaft für sich. Von landesweiter Währungseinheit wie in Frankreich oder Großbritannien konnte man in Deutschland lange nur träumen. Parallel zu den politischen Einigungsbemühungen des 19. Jahrhunderts verliefen deshalb auch die Verhandlungen zur Vereinheitlichung des Geldwesens in Deutschland. Von Vorteil war dabei, dass Kursschwankungen bei Geld und Edelmetallen kaum bekannt bzw. äußerst gering waren. So galt auch die ab 1871 schrittweise im neuen Wilhelminischen Kaiserreich eingeführte Mark (später wegen ihres Bezugsstandards inoffiziell auch „Goldmark“ genannt) als stabile Währung, die sich kaum durch steigende Preise entwertete. Umso unerwarteter war für einen Großteil der Bevölkerung die im Laufe des Ersten Weltkriegs einsetzende Inflation.
Erster Weltkrieg
Die offizielle Aufhebung des Goldmarkstandards zu Beginn des Krieges und die für jeden sichtbaren hohen Kriegskosten veranlassten sowohl Besitzer von Bankvermögen als auch einfache Leute, ihr Geld in Edelmetall, auch in Münzform, umzutauschen bzw. dieses zu horten. Mit zunehmender Länge des Krieges sank auch die Bereitschaft, Kriegsanleihen zu erwerben. Die anfängliche Siegesssicherheit Deutschlands und die Vorstellung, mit den – nach dem Vorbild des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 – zu erwartenden Reparations- (Entschädigungs-)Zahlungen alle Schulden begleichen zu können, wich großer Unsicherheit, während der Umbau zur Kriegswirtschaft und die fehlenden Arbeitskräfte und Importe auf die spätwilhelminische Wirtschaftsblüte eine Zeit des Mangels, Hungers und der steigenden Preise folgen ließ. Für die wegen ihres Metallwerts gehorteten oder eingezogenen Scheidemünzen, das „Münzkleingeld“, musste erstmals Notgeld meist in Papierform ausgegeben werden; es kamen aber etwa auch Briefmarken zum Einsatz. Aus dem überwiegend von den Kommunen edierten Ersatzkleingeld entwickelten sich das schnell bei Sammlern geschätzten Notgeldserien, die das Kriegsende überlebten und von den Ausgebern zunehmend als Einnahmequelle entdeckt und vermarktet wurden.
Kriegsende, Rheinlandbesetzung, Reparationen
Der Krieg endete für Deutschland nach gut vier Jahren in einer äußeren und inneren Katastrophe: Spätestens nach dem Kriegseintritt der USA „in zähem Ringen“ in die Knie gezwungen, den Neuerungen wie Panzer und Flugzeugen nicht gewachsen, unterzeichnete eine verschämte deutsche Delegation im Wald von Compiègne die Kapitulation. Der Kaiser setzte sich ins neutrale Holland ab, allerorten wurden Arbeiter- und Soldatenräte gebildet, die den Übergang in die Demokratie oder mehr organisieren sollten. Für die Währung änderte sich damit zunächst wenig. Das etwa bei der Rüstungsindustrie reichlich vorhandene Geld wurde -auch angesichts drohender Entwertung, wenn nicht Enteignung, in neue Immobilien oder Luxusartikel gesteckt. Erst mit den Verträgen von Versailles wurde die Reparationsfrage ausführlich geklärt. Im besetzten Rheinland konnte dagegen angesichts der Presseüberwachung kaum offen opponiert werden. Aus Sicht der Deutschen führten die Besatzer überwiegend ein schönes Leben auf Kosten der Besetzten, die ihrerseits mit den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen des Krieges zu kämpfen hatten.
Serienscheine: Motive und Ausgeber
Das Sammeln von Kriegs-Zeugnissen und Besonderheiten aller Art war schon während der Kriegszeit bei Jugendlichen und Erwachsenen ein beliebtes Hobby geworden. Man wollte die „große Zeit“ dokumentieren und für die Nachkommen festhalten. Das machten sich die Kommunen und Institutionen zunutze, die vorübergehend zur Ausgabe von Notgeld berechtigt waren. Sie ließen die Scheine zunehmend professionell gestalten und in Serien zusammenstellen, mit denen sie sich unmittelbar an Sammler richteten. Alben wurden gedruckt, und die Regeln des älteren Briefmarken-Sammelns auf die neue Materie übertragen. Auch so ließ sich – etwa aus Sicht der Eltern geographisches und historisches Interesse anregen und Wissen vermitteln.
Die große Beliebtheit der Kleingeld-Serien brachte einige Druckereien und Künstler dazu, sich auf die Gestaltung von Notgeld zu spezialisieren und dieses insbesondere den Kommunen gezielt anzubieten. Als Motive dazu eigneten sich natürlich lokalen und regionale Sehenswürdigkeiten. Als Vorlagen dienten den Künstlern nicht selten handelsübliche Postkarten. Die Rahmen waren austauschbar und konnten in verschiedenen Farben gedruckt werden. Die lokalen Motive lassen sich aber auch als gezielte Hinweise auf die Schönheit und Geschichte der jeweiligen Stadt und Region verstehen. Sie geht einher mit dem deutlichen Aufschwung des Lokalpatriotismus und der Betonung heimatlicher Werte insbesondere auch in den besetzten Gebieten. Das Verschwinden der „Alten Ordnung“ und die Anwesenheit fremder Besatzer mit Gebietsansprüchen, die ja in der Realität an verschiedenen Stellen im Norden, Osten und Westen Deutschlands nicht bloß gestellt, sondern auch umgesetzt wurden, beantwortete man so durch eine friedliche Betonung des Heimat- und Nationalstolzes.
Serienscheine: Künstler und Stile
Nicht nur Kunstdruckereien, sondern auch mehr oder weniger bekannte Künstler beschäftigten sich ausführlich mit der Gestaltung von Notgeld. So wurden – angelehnt etwa an Buchillustration – Märchen und Legenden ebenfalls als Themen der Heimat aufgegriffen. Die im 19. Jahrhundert hochgeschätzte Gebrauchsgraphik fand hier ein neues Feld. Neben traditionellen Formen der Ornamentik und Illustration finden sich auch eindeutig von der zeitgenössischen Kunst des Art Deco und Expressionismus angeregte Gestaltungen. Von besonderem Interesse sind natürlich Motive, die sich mit dem Thema des Kleingeldmangels, der Preissteigerungen und der Inflation selbst auseinandersetzen.
Vorinflation
Mehrfach verbot die Regierung die Ausgabe von lokalen Serienscheinen und anderen Notgeldformen. Dies mußte mangels Zahlungsmitteln aber immer wieder aufgehoben werden, denn Reichsbank und Finanzministerium kamen mit der zentralen Herstellung und der Verteilung von immer höheren Banknoten nicht hinterher. Die sprichwörtlichen Waschkörbe kamen hier zum Einsatz, und das Geld wurde – wie noch heute in Drittweltländern – nach Gewicht oder Stapelhöhe bemessen. Während der Umlauf immer kürzer wurde und die Summen immer höher stiegen, wurden die verwendeten Scheine immer einfacher. Mangels Papier wurde in manchen Firmen auch auf Leder oder Stoff gedruckt.
Hyperinflation 1923
Als die Reichsregierung die Zahlung der Reparationen wegen der Inflation aussetzen wollte, rückten französische und belgische Truppen im Januar 1923 ins Ruhrgebiet ein. Der daraufhin ausgerufene Generalstreik musste wiederum vom Reich finanziert werden, was die Spirale der Geldentwertung weiter beschleunigte. Zwar wurden Löhne und Unterstützung jetzt täglich ausgezahlt, aber das Geld war am nächsten Tag schon wertlos. Hungernde Städter unternahmen Hamsterfahrten aufs Land und fielen in die Bauernhöfe und Dörfer ein. Im September musste der „Ruhrkampf“ schließlich aufgegeben werden. Die Instabilität der Währung belastete das gesamte Leben, statt Geldverkehr wurden wieder Tauschgeschäfte gemacht, die Selbstversorgung blühte.
Sachwerte und Devisen als Ausweg
Mit einer festgelegten Relation zu ausländischen Währungen oder einem Sachwert konnten wertbeständige Notgeld- bzw. Wertgutscheine geschaffen werden. Insbesondere dem Verhältnis zum amerikanischen Dollar kam dabei große Bedeutung zu, weil dieser auch international bereits als stabile Leitwährung galt. Theoretisch konnten Ausländer mit Dollar also jetzt äußerst billig in Deutschland einkaufen. Neue Ausfuhrbestimmungen und Handelsbeschränkungen sollten aber die Ausplünderung des Landes verhindern. Ohne aus dem Ausland importierte und in Devisen bezahlte Rohstoffe oder Waren konnten viele Industrien jedoch nicht auskommen. Wer allerdings Waren ins Ausland verkaufen konnte, kam damit an wertstabile Devisen.
Die Erlösung: Stresemann und der Dawes-Plan
Der neue Finanzminister Gustav Stresemann verhandelte mit den Siegermächten, und im Spätherbst wurde in London das nach dem britischen Außenminister benannte Dawes-Abkommen geschlossen. Damit wurden die Reparationen gestundet und gestreckt. Mit einer formalen Anleihe auf die gesamte Wirtschaft zum schließlich am 15. November von der deutschen Regierung die Rentenmark geschaffen. Als Wechselkurs wurde eine Billiarde Mark zu 4.20 Dollar festgelegt. Mit diesem Währungsschnitt gingen alle vor der Inflation bestehenden Geldvermögen, aber auch Schulden weitgehend verloren. Aktien und ähnliche Anteile wurden umgetauscht. Die Rentenmark wurde 1924 in Reichsmark umbenannt, die bis 1948 gültig war.
Schreckgespenst Inflation
Nach allgemeiner Einschätzung legte die Inflation von 1922/23 die Grundlage für ein weitreichendes inneres Misstrauen in die Weimarer Republik und ihre demokratische Ordnung und damit letztlich für den Aufstieg des Nationalsozialismus. Zwar sah man eine Mitverantwortung der Deutschen, aber in der ideologischen Auseinandersetzung wurden einen Hauptschuld den Siegermächten angelastet, die durch überzogene Forderungen und Destabilisierung die deutsche Wirtschaft überforderten. Die Regulierung der Geldentwertung ist daher bis heute eine Hauptaufgabe von Zentralbanken und ihrer geldpolitischen Maßnahmen. Im Euro-Raum gilt dies seit 2003 für eine gemeinsame Währung, die jedoch nach außen ebenfalls Schwankungen unterworfen ist. Das Wechselspiel von Zinsen und Geldwert sowie die komplexen Mechanismen der Inflation bleiben schwer verständlich und für viele unberechenbar.
Bildquellen: Sammlung Max Morsches u.a., wikimedia
Autor und Redaktion: Alexander Kierdorf
Literatur:
Brenner, Hans Leonhard; Morsches, Max: Das Notgeld unserer Heimat (Serie), in: Heimat zwischen Sülz und Dhünn, Bergisch Gladbach, Heft 1-7, 1994-2000
Schäfke, Werner: Die große Inflation 1914 bis 1924. Eine Kölner Geldgeschichte, Köln 2022
Schwede, Dietrich: Als das Rheinland im Geld schwamm. Das rheinische Notgeld als Spiegel der Hyperinflation 1923, in: Rheinische Heimatpflege, Jg. 60, 2023, Heft 1, S. 23-34
Teupe, Sebastian; Zeit des Geldes. Die deutsche Inflation zwischen 1914 und 1923. Frankfurt am Main 2022